
Automatisiert biegeschlaffe Teile wie Kabel zu verarbeiten, stellt Roboter vor Herausforderungen. Das Potenzial jedoch ist riesig; in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit und Qualität ebenso wie bei der Entlastung von Mitarbeitern, zum Beispiel beim Handling großer, schwerer Leitungen. Durch die Weiterentwicklung der Technik wird hochgenaue Vermessung mittels Laserscanner, feinfühliger Toleranzausgleich per Kraft-Momenten-Sensor oder robuste Programmierung von Advanced Robotics Anwendungen durch clevere Tools möglich.
Zu den Vorreitern automatisierter Fertigung gehört die Automobilindustrie. Zulieferer sind hier ebenso wie Hersteller immer wieder an neuen Automatisierungslösungen interessiert. Denn die bereits eingesetzten Lösungen stammen meist aus dem Sondermaschinenbau. Sie lohnen sich nur bei großen Stückzahlen und ihr Einsatz ist unflexibel. Allerdings steigt der Druck, Fertigungsprozesse zu automatisieren und zu digitalisieren, gerade in dieser Branche deutlich. Die kabelverarbeitenden Bereiche wie das Handling von Leitungen bei der Konfektion oder die Produktion kleiner Teilleitungssätze sind vielerorts noch ein klassischer Fall für Handarbeit. Robotergestützte Lösungen könnten diese häufig deutlich reduzieren. Doch es lohnt sich, nicht nur auf den letzten Schritt des Produktionsprozesses, das Stecken von Leitungen, Kabeln oder Steckern, zu blicken. Großes Potenzial schlummert schon einen Schritt früher, nämlich bei der Leitungszuführung der Kabel.
Roboterzellen mit flexibel konfigurierbaren Sensoren ausstatten
Nachhaltig ist die Produktion mit flexiblen Roboterzellen, welche einen hohen Anteil an Standardkomponenten enthalten. Diese lassen sich individuell an die jeweiligen technischen Anforderungen und Produkteigenschaften anpassen. Produktionsmengen können über die Anzahl der eingesetzten Roboterzellen skaliert werden. Für die Bearbeitung biegeschlaffer Teile gilt dies im Besonderen. Um die bei biegeschlaffen Teilen vorherrschenden Toleranzen effizient auszugleichen, werden Roboter mit flexibel konfigurierbaren Sensoren wie Laserscanner, Kraft-Momenten-Sensor oder smarter Kamera eingesetzt. Hat der Roboter das Ende von Kabel, Leitung oder Schlauch erst einmal gezielt gegriffen, kann er flexibel diverse Fertigungsschritte erledigen, wie zum Beispiel Stecker bestücken, Maschinen zum Crimpen oder Schweißen beladen, Komponenten auf der Leitung aufbringen. Damit ein Roboter jedoch biegeschlaffe Teile zuverlässig greifen kann, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein. Rainer Jäkel ist CTO bei Artiminds Robotics. Er und seine Kollegen haben in den letzten Monaten in unterschiedlichen Anwendungen Projekte realisiert, bei denen Roboter biegeschlaffe Teile automatisiert lokalisieren, greifen und weiterverarbeiten. Artiminds hat hierfür einen Ansatz aus Laserscanner in Kombination mit ihrer Programmiersoftware Artiminds RPS entwickelt. Er erklärt, welche Möglichkeiten es für die Zuführung z.B. bei der Leitungskonfektion oder Kabelsatzproduktion gibt: „Je nach Fertigungsumgebung sowie abhängig von den Stückzahlen, der Länge und dem Gewicht der verarbeiteten Teile kommen dafür im Wesentlichen drei Herangehensweisen in die engere Auswahl: Leitungen direkt vor Ort von einer Trommel zuschneiden, der Einsatz von Hängegestellen oder das Nutzen spezieller Kisten.“
Kabel direkt vor Ort zuschneiden
Je definierter ein Kabel oder Schlauch einem Roboter zugeführt wird, desto leichter hat der es mit dem Zugreifen. Hat der Roboter die Leitung sicher gegriffen, ist es ein Leichtes, weitere Bearbeitungsschritte durchzuführen. „Natürlich braucht es dazu Vision-Tools, die je nach weiterem Verarbeitungsschritt das Ende der gegriffenen Leitung genau vermessen, damit die Software ermitteln kann, in welche Richtung die Leitung aus dem Greifer heraussteht oder in welchem Winkel sie beispielsweise in ein anderes Teil eingeführt werden soll“, ergänzt Jäkel. Ist die Leitung aber einmal definiert abgegriffen, gibt es vieles, was der Roboter damit machen kann. Zwar kommt der Roboter nicht auf das Tempo einer klassischen Ablängmaschine, aber die Möglichkeit, weitere Prozessschritte zu integrieren und dadurch im gesamten Handling-Prozess Zeit zu sparen, gleicht das schnell aus. Jäkel berichtet: „In einem unserer Kunden-Projekte kamen die notwendigen Parameter zusammen: Das Schneiden der Leitungen in der Anlage war kein Problem, da bereits mehrfach realisiert, und ein großer Teil der Wertschöpfung entstand durch die automatisierte, schnelle Montage des Leitungsendes mit integrierter Qualitätsprüfung. So wurde eine ideal auf die Kundenanforderungen angepasste Automatisierungslösung entwickelt und realisiert.“
Hängegestelle nutzen
Bei längeren Leitungen hingegen kann der Einsatz von Hängegestellen sinnvoll sein. Oft sind solche Leitungen nicht nur lang, sondern auch dick und damit schwer, zum Beispiel im Hochspannungsbereich. Die schweren Kabel werden daher oft vom Roboter nur am Ende gegriffen, während der Rest des Kabels auf dem Hängegestell liegen bleibt. Die schwierige Aufgabe für den Roboter besteht darin, den richtigen Greifpunkt auf einer frei hängenden Leitung zu finden. Der Roboter tastet hierzu mit Hilfe eines Laserscanners das Leitungsende ab und ermittelt den idealen Greifpunkt und Greifwinkel. Damit das Arbeiten effizient vonstattengeht, werden solche Gestelle oft mit vielen Kabeln bestückt und in die Roboterzelle eingeführt. Nun kann der Roboter über einen längeren Zeitraum ohne Eingriff eines Mitarbeiters arbeiten, bis er wieder Nachschub benötigt. „Mit dieser flexiblen Lösung können Kunden oftmals bestehende Maschinen zur Bearbeitung von Leitungen für die Automatisierung erschließen und damit die notwendigen Investitionen reduzieren“, sagt Jäkel.
Kabel in Kisten für Automatisierung zuführen
Kabel mit einer Länge bis zu 1.000 Millimeter führt man am sinnvollsten in Kisten zu. Für die Automatisierung werden die Leitungen dazu in vertikalen Fächern eingelegt, um eine minimale Strukturierung sicherzustellen, die es dem Roboter mit Sensorik ermöglicht, die Kabel sicher abzugreifen. „Mit der Roboterlösung, die wir nach dieser Methode mit einem Kunden realisiert haben, konnte die notwendige Zeit zur Vorbereitung des Materials stark verringert und die Maschinenauslastung verbessert werden“, berichtet Jäkel. Auch bei diesem Vorgehen weiß der Roboter grob, wo er das Kabel zu erwarten hat, vermisst es dann mit dem Laserscanner detailliert und greift punktgenau zu. Nach einem oder mehreren Verarbeitungsschritten legt er das Kabel dann wieder in einer anderen Kiste ab. Der Vorteil dieses Vorgehens ist, dass das Arbeiten mit Kisten ein etablierter Standardprozess ist, der sich gut in die Gesamtfertigung einfügt. Daher ist es gerade für Brownfield-Anlagen ein gut geeigneter Ansatz.
Programmierung leicht gemacht
Der Anwender profitiert bei einer Roboterlösung mit flexiblen Standardkomponenten davon, dass mit dem gleichen Fertigungsprozess ohne großen Umrüstaufwand und kostspielige Zusatzentwicklungen verschiedene Leitungen bearbeitet werden können. Auch lassen sich weitere Fertigungsprozesse integrieren. In jedem Fall bleibt aber neben der Frage nach dem geeigneten Zuführkonzept auch die nach der Programmierung der Roboter und Integration von Sensoren und Werkzeugen. Artiminds geht mit ihrer Robot Programming Suite (RPS) einen Weg, der den Einstieg in die Roboternutzung mit flexiblen Sensoren und Werkzeugen spürbar erleichtert. So wird robotergestützte Automatisierung fortschrittlicher Anwendungen möglich gemacht. Mit der grafischen Bedienoberfläche und fertigen Programmbausteinen lassen sich ohne Zusatzhardware Roboter einfacher, effizienter und wirtschaftlich rentabel programmieren. Die RPS sorgt aufgrund passender Schnittstellen für eine reibungslose Integration von Sensoren und Werkzeugen.
Fachwissen für die bestmögliche Verwendung mit dem Roboter oder Kenntnisse in der jeweiligen Robotersprache ist nicht notwendig. Templates erleichtern das Scannen, Vermessen und präzise Greifen biegeschlaffer Teile und ermöglichen ein zuverlässiges, kraftgeregeltes Einstecken. Jäkel resümiert: „Wir haben in den letzten Monaten gemeinsam mit unseren Anwendern verschiedene Projekte realisiert, bei denen es um die automatisierte Verarbeitung von biegeschlaffen Teilen in der Bordnetzfertigung oder im Bereich weiße Ware ging. Dabei haben wir nicht nur in Bezug auf den Zuführprozess beraten, sondern auch ganz praktisch bei den ersten Automatisierungsschritten bis hin zur tatsächlichen Umsetzung unterstützt. Wichtig zu wissen ist, dass wir auch in bereits vorhandene Prozesse innovative Teillösungen integrieren können, da Artiminds RPS nativen Robotercode erzeugt. Unser Ziel ist es, flexibel auf die Bedürfnisse unserer Kunden zu reagieren und ihnen als umfassender Robotik-Partner genau die Dienstleistungen und Konzepte anzubieten, die sie benötigen.“
Autoren:
Silke Glasstetter, Head of Marketing bei Artiminds,
Nora Crocoll, Redaktionsbüro Stutensee