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Der Weg zur Industriesteuerung 5.0: OT und IT verschmelzen

Virtuelle Steuerung als Lösung der Lieferproblematik?

Mit virtuellen Steuerungen können mehrere dedizierte Steuerungen zentralisiert auf einer leistungsfähigen Hardware zusammengefasst werden

Steuerung 5.0? Sind wir nicht gerade erst in der vierten Steuerungsgeneration angekommen? Und wie kann sich die neue CODESYS-basierte SPS dem Teilemangel, gestörten Lieferketten und gestiegenen Preisen entziehen? Bevor wir diese Fragen beantworten und uns mit innovativen Steuerungen auseinandersetzen, fangen wir erst einmal von vorne an.

Evolution der Steuerungslandschaft

Sie haben den Maschinenbau groß gemacht: Rein mechanische Steuerungen zu Zeiten der Industrialisierung, meist betrieben durch Dampfmaschinen. Die schnell steigende Komplexität der Mechanik sowie der immense Materialaufwand sind Gründe, warum Steuerungen der ersten Generation heute nahezu ausgestorben sind. Mit dem Einzug der Elektrotechnik ergaben sich neue Möglichkeiten mit der Steuerung 2.0, insbesondere über elektromechanische Komponenten wie Elektromotoren und Relais. Einzelne Einheiten ließen sich ferngesteuert schalten, „Steuerungsprogramme“ konnten hart verdrahtet ausgeführt werden. Der enorm hohe Verdrahtungsaufwand hatte jedoch schwierige Wartungs- und Änderungsprozesse zur Folge und erforderte akribische Dokumentation.

Elektronik und insbesondere programmierbare Prozessoren machten den Weg frei für Steuerungen, wie sie heute noch gängig sind. Der Systemspeicher der Steuerung dritter Generation ist nicht mehr hart verdrahtet, sondern kann flexibel geändert werden. Diese freie Programmierbarkeit der Steuerung führte zur Geburtsstunde der SPS, wie wir sie auch heute noch kennen. Applikationen können in PC-basierten Programmiertools, wie z.B. dem CODESYS Development System, erstellt und
auf das Gerät geladen werden. Mit dem Start der Steuerung wird die hinterlegte Applikation sofort ausgeführt und läuft im Regelfall über Jahrzehnte im 24/7-Betrieb.

Angekommen in der Gegenwart

Betriebssysteme, wie man sie beispielsweise von PCs kennt, hielten bereits vor einiger Zeit Einzug in die Steuerungstechnik. Sie bringen zahlreiche Vorteile mit sich, unter anderem Dateisysteme, Multitasking und die Unterstützung von Grafikfunktionen. Per Laufzeitsystem-Software, sprich SoftSPS, lassen sich solche Systeme zur vollständigen SPS aufwerten. Wurden diese Geräte für den industriellen Einsatz konzipiert, dann unterscheiden sie sich äußerlich häufig kaum von einer „normalen“ SPS. Die Multitasking-Eigenschaften des Betriebssystems und die Leistungsfähigkeit der CPU machen diese Systeme allerdings jetzt multifunktional. Und so werden heute nicht nur Automatisierungsfunktionen wie Visualisierung und die Steuerung koordinierter Verfahrbewegungen in einem Gerät ausgeführt, sondern auch ganz allgemeine Kommunikationsaufgaben. Parallel dazu lassen sich komplett andere Aufgaben problemlos umsetzen, insbesondere wenn CPUs mit mehr als einem Prozessorkern im Einsatz sind.

Damit sind wir im Hier und Jetzt, bei der Steuerung 4.0, angekommen. Die Steuerungslandschaft hat sich mit großen Schritten vorwärtsbewegt und bietet flexible und leistungsstarke Möglichkeiten, um Maschinen und Anlagen zu betreiben. Mit Programmiersystemen wie CODESYS kann auf unterschiedlichster Hardware gearbeitet werden, und Projekte lassen sich bei Bedarf auf andere Geräte transferieren. Nur gibt es, vor allem seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie, einige Probleme: Steuerungen und Peripherie sind kaum noch lieferbar, und die Preise für einige Komponenten haben sich innerhalb kurzer Zeit stark erhöht.

Die Evolution der Produktionsanlage mit Dampfmaschine und mechanischer Steuerung bis hin zur Software-basierten Steuerung am Beispiel einer ctr X von Rexroth

Generation 5.0 - Die virtuelle Steuerung

Alle Steuerungen ab der dritten Generation basieren auf der Hardwareplattform als elektronischem Unterbau. Die Software bestimmt zwar die Funktion des Prozesses, dennoch ist es die Hardware, die verkauft und verbaut wird. Wenn man heute von virtuellen Steuerungen spricht, so ist für die Ausführung natürlich ebenfalls eine Hardware erforderlich. Im Gegensatz zu den softwarebasierten Steuerungen (Steuerung 4.0) wird die Hardware nun aber komplett abstrahiert.

Dies bedeutet, dass die ausgeführte SoftSPS gar nicht mehr wissen muss, auf welchem Gerät sie läuft. Es können nach wie vor dedizierte Steuerungsgeräte bzw. Industrie-PCs sein, es könnte sich aber neuerdings auch um ein leistungsstarkes Server-Rechenzentrum oder in letzter Konsequenz sogar um Cloud-Dienste handeln. Entscheidend ist die Abstraktion der Hardware durch Container oder Hypervisor. Darauf wird die SoftSPS mit Standardmitteln „deployed“ bzw. per Tool orchestriert – eine Installation wie bei Steuerung 4.0 entfällt. Um Applikationen feingranular in Microservices aufzuteilen, kann man bei Bedarf einfach mehrere Instanzen parallel für unterschiedliche Steuerungsaufgaben anlegen - skalierbar in Speicher- und CPU-Performance. Über virtuelle LAN-Schnittstellen lässt sich bequem eine Anbindung an physikalische Feldbussysteme realisieren. Auch Echtzeitfähigkeit ist kein Problem.

Gewaltige Vorteile - vor allem in der gegenwärtigen Situation

CODESYS Virtual Control ist die logische Fortsetzung des anhaltenden Trends zur Abstraktion in der Evolution der Industriesteuerung. Die neue hardwareunabhängige Steuerungsgeneration erlaubt es, quasi jedes gängige System in eine SPS zu verwandeln. So eröffnen sich ganz neue Perspektiven bei der Auswahl der Hardware für Automatisierer - gerade in Zeiten von Lieferproblematiken ein wichtiger Vorteil. Leistungsfähige Server können in Zukunft zentral ganze Industriehallen steuern. Beschaffung, Verdrahtung, Instandhaltung, Ausrollen von Applikationen und Administration wird dadurch stark vereinfacht und günstiger, da nicht mehr auf Dutzenden dedizierten Steuerungen gearbeitet werden muss. So wird der teuerste Platz in einer Maschine, bekanntlich der Schaltschrank, nicht mehr von einer oder mehreren Steuerungen belegt. Netzteile und deren Verdrahtung entfallen, statt der Beschaffung und Montage mehrerer Steuerungen genügt es, eine verfügbare IT-Plattform im Netzwerk mit virtuellen Steuerungen zu bespielen und diese zentral zu verwalten - und das von IT-Spezialisten statt von Automatisierern. OT und IT sind damit vollständig ineinander verschmolzen.

 

Virtuelle Steuerungen in CODESYS

Die Vorteile klingen beinahe zu gut, um wahr zu sein. Ist das alles noch Zukunftsmusik? Wie ist der tatsächliche aktuelle Stand? CODESYS als marktführende IEC-61131-3 Plattform bietet bereits seit Jahren die Möglichkeit, unterschiedlichste Geräte via SoftSPS zu automatisieren. Auch die nächste Stufe der SPS-Entwicklung ist kurz vor der Fertigstellung, bzw. bereits im Einsatz in Demo-Anlagen. Bereits heute testen einige Kunden die Vorteile der virtuellen Steuerungen in ihren Anlagen. Das Release im CODESYS Store für die breite Öffentlichkeit wird in den nächsten Monaten stattfinden. Typischerweise werden Anwender die virtuelle Steuerung mittels Konfigurationsdatei bzw. Image selbst deployen und dann via Orchestrierungstool wie Kubernetes, OpenShift oder dem CODESYS Automation Server verwalten können. Virtuelle Steuerungsinstanzen lassen sich dann nach Belieben in unterschiedlicher Anzahl und Leistung deployen und auch wieder entfernen. Per virtuellem LAN lassen sich I/Os und andere Geräte sowie Peripherie im Netzwerk ansprechen. Die Projektierung erfolgt wie gewohnt über das CODESYS Development System.

Einbinden von virtuellen SPSen in die eigene Steuerungslandschaft, wie gewohnt im CODESYS Development System

Ein möglicher Use Case für die Steuerung 5.0 ist das Ersetzen mehrerer dedizierter Steuerungen durch ein leistungsfähiges, zentrales IT-System. Beschaffung, Instandhaltung und Wartung einer solchen Anlage sind deutlich günstiger als Installation und Betrieb von Dutzenden separaten SPSen. Durch den Einsatz von IT-Servern kann auch auf ein flexibleres Hardware-Angebot zurückgegriffen werden, was die aktuelle Lieferproblematik deutlich entschärft. Ein weitere Anwendungsmöglichkeit ist die Aufteilung der Applikation in Microservices. Die Firma Voith Paper hat in einem Pilotprojekt bestehende Applikationen in mehrere logische Teile aufgeteilt und lässt diese auf einem IT-Server auf fünf prozesstechnisch isolierten Steuerungsinstanzen ausführen. Weil diese Instanzen mit anderen Diensten über definierte Schnittstellen einfach zusammenarbeiten können, werden sie zu „Microservices“, wie man sie in der IT kennt. Dadurch verfügt die Maschine über ein State-of-the-Art Security-Design. Zudem ist die Voith-Paper-Applikation jetzt flexibel anpassbar und einfach wartbar.

Mehr über virtuelle Steuerungen von CODESYS erfahren Sie hier

LinkedIn: https://www.linkedin.com/company/codesys
Youtube: https://www.youtube.com/@Codesys-AutomationSoftware

Autor: Domenik Vögel